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Unglaublich lecker, überraschend vegan!
Reportage

Außerhalb jeglicher Kategorie: Kirschwein vom Gut Frederiksdal

Auf dem dänischen Gut Frederiksdal ist gut Kirschen essen. Und gut Kirschwein trinken! Denn hier, auf der kleinen Insel Lolland wird einzigartiger, qualitativ hochwertiger Wein aus dänischen Sauerkirschen produziert.

Svenja
Svenja, Redaktion

Stellt euch einen Rotwein vor, der kein Rotwein ist. Genauso wenig ist er ein Dessertwein oder ein Portwein. Er ist auch kein Frucht- oder Obstwein – und wenn wir schon dabei sind, ein Wein aus Weintrauben ist er auch nicht. Er ist eben was ganz Besonderes, dieser Wein aus der dänischen stevnsbær (= Sauerkirsche), der „Traube des Nordens“. Streicht die Worte „Kirschwein“, „charaktervoll“ und erst recht „gewöhnlich“ und „vorhersehbar“ aus eurem Vokabular – sie erfassen so überhaupt nicht, was wir schmecken durften. Denn auf dem dänischen Gut Frederiksdal wird ein Wein aus Kirschen produziert, der sich in Sachen Komplexität und Charakter locker mit jedem Rotwein der Welt messen kann.

Oh ja, anscheinend ist uns dieser Wein gehörig zu Kopf gestiegen. Die Superlative übertreffen sich von Satz zu Satz und wenn ihr diese Zeilen überhaupt noch lest, dann wollen wir euch versprechen, diese Geschichte „proper“ zu erzählen. Und zwar von Anfang an:

Harald Krabbe vom dänischen Gut Frederiksdal
Harald Krabbe hat sich mit Leib und Seele seinem Kirschwein verschrieben

Die Geschichte

Sie zeigen es uns immer wieder, die Dänen. Entlang der dänischen Ostseeinseln erleben und (er)schmecken wir Dinge, von denen wir nicht einmal wussten, dass sie existieren. Da sind wir schon so gut wie zurück in Deutschland, nur noch ein letzter Stop auf unserem Trip, doch diese eine Station setzt der gesamten Reise das Sahnehäubchen auf: Die Insel Lolland ist so ziemlich der südlichste Zipfel, den ihr in Dänemark erreichen könnt. Das Klima dort verspricht viel Sonne durch die reflektierende Meeresoberfläche. Die Winter sind kurz und mild, und das Frühjahr bricht besonders früh herein. Perfekt für die dänische stevnsbær, die dadurch eine besonders lange Wachstumsperiode zwischen Blüte und Ernte genießen darf.

Die hiesige stevnsbær kennt jeder Däne – das heißt, jeder Däne kennt zumindest den daraus hergestellten kirsebærsvin. Ein Kirschlikör, der genauso zum dänischen Repertoire gehört, wie Hot dogs und Smørrebrød. Kirschlikör ist eine dänische Institution. Traditionell zu Reis-Mandel-Pudding serviert, darf er bei keinem Weihnachtsabend fehlen.

Leider hat er im Zuge der Globalisierung an Qualität eingebüßt: Billigere Rohwaren, schwankende Preise und konkurrierende Produktionen in Ost-Europa, sodass nur noch wenige dänische Produzenten sich auf diesem Markt halten können. Auch das Gut Frederiksdal war einst Produzent für die dänische Likörindustrie und verkaufte hochwertigen Kirschsaft, der unter anderem als Zutat für Backwaren zum Einsatz kam. Doch dann brach der Markt für dieses Produkt ein. Als Inhaber Harald Krabbe praktisch von heute auf morgen vor dem Nichts stand, musste er schnell umdenken. Da seine Sauerkirschen eine sehr hohe Konzentration an Säure aufweisen, boten sie sich auch nicht als Tafelkirschen an. Die gute alte stevnsbær von Gut Frederiksdal hätte in der neuen Zeit fast nicht überlebt.

Kirschernte auf dem dänischen Gut Frederiksdal
Bei der Kirschernte: Die geschüttelten Kirschen werden über ein Band in Behältnisse transportiert

Zum Glück standen Harald Freunde zur Seite, die mit einer ganz neuen Idee liebäugelten. Als engagierte Wein-Enthusiasten überzeugten Journalist Morten Brink Iwersen und Fernseh-Koch Jan Friis-Mikkelsen Harald dazu, seine Kirschen für Wein-Experimente freizugeben. Das dreiköpfige Team kam schnell auf den Geschmack und stellte fest, dass die dicke Schale der stevnsbær für eine unglaubliche Komplexität im Saft und in vergorenem Wein sorgt. Die Stunde Null hatte begonnen.

„Hier wird Wein für eine Frucht neu gedacht, aus der noch nie Wein hergestellt wurde. Wenn man sich vorstellt, dass Wein seit ungefähr 6.000 Jahren zu unserer Kultur gehört und sich immer wieder neu erfindet – neu erschlossene Gebiete, auf denen Wein angebaut werden kann und neue Weinsorten, die das erste Mal Tageslicht erblicken... Auf Gut Frederiksdal passiert das alles in wenigen Jahren, und im Hier und Jetzt!“ Seit 2012 ist auch Jens Heinemeyer, Önologe und beratender „Winemaker“, auf Gut Frederiksdal an Bord. Er verhalf dem dänischen Kirschwein auf ein professionelles Niveau. Jens experimentierte und tüftelte so lange, bis er Prozesse traditioneller Weinherstellung auf die Kirschwein-Produktion adaptieren konnte. Ein Unterfangen, das sich aufgrund der speziellen chemischen Zusammensetzung der stevnsbær äußerst schwierig gestaltete. Auch schmeckte die Kirsche von Baum zu Baum unterschiedlich. Es galt also erstmal herauszufinden, was die Sauerkirsche brauchte, um sich perfekt entfalten zu können. Sowohl die Bodenqualität als auch das lokale Klima und die speziellen Eigenschaften eines jeden Baumes erwiesen sich als ausschlaggebende Faktoren für die Qualität des Kirschweines. Die besten Ergebnisse erzielte Harald mit Wein von seinen ältesten Kirschplantagen. Dort stehen Kirschbäume, die mittlerweile 25 Jahre alt sind. Dieser Wein war röter und schmeckte fein-fruchtig, gleichzeitig enthielt er eine markante Säure und viele spannende Geschmackskomponenten. Das war es! Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Olaf und Harald auf Frederiksdal
Olaf und Harald bei den Weinfässern

Noch lange kein Epilog in Sicht

Inspiriert von französischen Winzern, probieren Harald und sein Team immer wieder neue Methoden aus, um ihren Kirschwein zu verfeinern. Für die meisten Kirschweine von Gut Frederiksdal werden die Kirschen eingemaischt (= angequetscht) und durch traditionelle Maischegärung zu dunklem Wein verarbeitet. Danach reift der Wein i.d.R. 30 Monate im Eichenfass.

Insgesamt produziert das Gut eine Handvoll Kirschweine, einen Sekt, einen Kirschschnaps und einen Kirschlikör, der die historische Qualität des einstigen kirsebærsvin von vor 40 Jahren aufleben lässt. „Doch das Herzstück der Produktion auf Gut Frederiksdal ist und bleibt der Kirschwein“, erklären uns Jens und Harald bei einem Spaziergang über die Plantagen. Dort ist die Kirschernte gerade in vollem Gange: Riesige Maschinen fahren in zickzackähnlichem Verfahren links und rechts an den Kirschbäumen vorbei, schütteln behutsam an den Zweigen und transportieren die herunterfallenden Kirschen auf einem Band in entsprechende Behältnisse. Die Maschinen wurden extra für Frederiksdal gebaut. Eine riesige Investition, die sich aber für das Gut mehr als gelohnt hat. Mittlerweile produziert Harald ca. 100.000 Flaschen Kirschwein pro Jahr. Abhängig von den Wetterbedingungen schwankt die Produktionsmenge. Damit hat sich Gut Frederiksdal in den letzten 10 Jahren zu Skandinaviens größtem Weingut mit insgesamt 50 Hektar Kirschplantagen gemausert und ist der erste und einzige Betrieb, der aus Kirschen Wein herstellt.

Glasballons auf Gut Frederiksdal
Etwas ganz Besonderes: Kirschwein, der zuerst in Glasballons gelagert wird

Harald kann es kaum erwarten, uns seine Weine zu präsentieren. „Die Mannigfaltigkeit, die uns die Natur schenkt, wollen wir in unseren Weinen widerspiegeln. Für mich ist unser Produkt New Nordic Cuisine per Definition: eine nordische Frucht, die erstmals in eine Weinflasche gefüllt wird. Du schmeckst einzigartige Aromen und eine Säure, wie du sie noch nie zuvor gekostet hast“.

Mit dieser Ansage schenkt er uns von seinen Weinen ein. Wir sind begeistert wie unterschiedlich, wie intensiv, wie unverwechselbar die einzelnen Kirschweine schmecken und wie jede einzelne Weinsorte für sich andere Facetten der stevnsbær für uns erlebbar macht. Besonders angetan sind wir vom Rancio. Als dänisches Pendant zum französischen Maury-Wein wird er nach der Gärung in 25-Liter-Glasballons gefüllt, ins Freie gesetzt und ein Jahr lang, Sommer wie Winter, der Sonne und großen Temperaturschwankungen ausgesetzt. Danach lagert er ein weiteres Jahr in alten Cognac-Fässern, bevor er endlich in der Flasche landet. Nach dem ersten Tröpfchen Rancio ist unser aller Impuls großes, ehrfürchtiges Staunen: Sinnlich und voller Gegensätze – so einen Wein haben wir wirklich noch nie gekostet! Kein Wunder, dass sich diese Qualität herumspricht. Ca. 40 % der hiesigen Kirschwein-Produktion geht in die USA, nach Norwegen und in die Schweiz.

Wir sind überzeugt davon, dass wir von Harald und seinem Kirschwein noch viel hören werden und fühlen uns geehrt, Zeugen dieses einzigartigen Weines gewesen sein zu dürfen, der jegliche Kategorien sprengt.

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